„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verkünde nun den Sieger der diesjährigen Ausschreibung in der Kategorie Kurzgeschichte im Genre Thriller, die mit stolzen 20.000 Euro dotiert ist. So eine hohe Summe gab es noch nie!“
Gleich würde der Moderator meinen Namen ausrufen: Vince Frei! Ich bin mir meiner Sache so sicher, wie noch nie in meinem Leben zuvor. Neben mir sitzt Leonie, hält vor Aufregung meine Hand so fest umklammert, dass es schmerzt.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst recht herzlich bei unseren Sponsoren bedanken, ohne die es diese Ausschreibung und diesen sagenhaften Preis nie gegeben hätte.“ Der Moderator wartet, bis der Applaus verebbt und die Sponsoren in der ersten Reihe wieder sitzen.
„Aber nun möchte ich Sie, verehrtes Publikum, nicht länger auf die Folter spannen. Ich darf auf das Podium bitten.“
„Vince Frei!“, jubelt es in meinem Kopf, ich mache mich bereit, aufzuspringen und nach vorne zu gehen.
„Frau Leonie Sommer! Herzlichen Glückwunsch! Kommen Sie bitte zu mir nach vorne.“
Tosender Applaus bricht los. Halluziniere ich?
Mich zieht es in den Sitz zurück, eine unsichtbare Hand greift nach meiner Kehle, der Hemdkragen wird eng, die Luft knapp, der Platz neben mir ist leer, aber mein Kopf ist voll und dröhnt. Meine heißgeliebte Leonie stöckelt in Richtung Podium, ohne sich auch nur einmal nach mir umzudrehen. Ich ringe nach Atemluft, meine Gedanken fahren Achterbahn, während Leonie auf der erhöhten Bühne mit der Lesung beginnt. Die Worte, die sie liest, kann ich mitsprechen, jedes einzelne, alle.
Das ist meine Geschichte, die ich auf Leonies Anraten in den Müll geworfen habe, weil zu schlecht, nicht gut genug für einen 20.000 Euro-Wettbewerb. Ihre Worte hallen in mir nach: ‚Nicht tragbar. Schrott. Vince, schreibe etwas anderes, etwas besseres, für mich, das kannst du doch, das weiß ich“.
Viele Nächte habe ich mir mit meiner neuen Geschichte um die Ohren geschlagen, damit diese noch besser als die Vorherige wird. Tagsüber träumen Leonie und ich vom Gewinn, mit dem wir die Anzahlung für das Hausboot, unser beider Traum, leisten wollen, auf dem ich in greifbarer Zukunft meine Geschichten schreibe, während sie sich um unser Kind kümmert.
‚Ich schreibe doch nur für dich, Vince, nicht für die Öffentlichkeit, das weißt du,‘ höhnt es in mir. Leonie und schreiben? Mir will kein einziger Satz einfallen, den ich in der Vergangenheit von Leonie zu lesen bekommen habe. Wahrscheinlich ist sie gar nicht schwanger und wenn doch, dann nicht von mir. Auch nur so ein Bluff, mit dem sie mich geködert hat, um an meinen Text zu kommen. In meinem Kopf ziehen Bilder wie ein Kinofilm vorbei, Leonie und ich an romantischen Abenden bei Kerzenschein. Heiße Nächte, in denen wir Sex haben, bis wir eng umschlungen in die Laken zurück sinken. Alles nur Mittel zum Zweck!?
Gestern in der Vorfreude habe ich doch nur zwei Gläschen Bourbon getrunken. Oder sind es doch mehr gewesen?
Ich zerre an der lächerlichen Krawatte, die ich nur wegen Leonie trage, reiße den obersten Hemdknopf auf. Mein Hals ist wieder frei. Ich sauge die Luft in mich hinein, springe von meinem Stuhl hoch:
„Das ist meine Geschichte! Ich kenne jedes Wort!“
Es ist totenstill im Saal, auch Leonie höre ich nicht mehr. Schnell gewinnt sie ihre Fassung zurück, liest weiter, als ob ich nichts gesagt habe, als ob ich gar nicht da sei. Der Moderator blickt irritiert zwischen Leonie und mir hin und her, als verfolge er den Ball bei einem Tennismatch, schließlich nickt er fast unmerklich.
Ein Loch tut sich unter mir auf, verschlingt mich, ich versinke in der Elbe mit dem Hausboot, das ich mit nie Leonie haben werde.
Zwei Männer, Typ Kleiderschrank, in weißen Kitteln, zerren mich aus meiner Sitzreihe, vorbei an mitleidigen Blicken und stummen Vorwürfen für den armen Irren, der keine Niederlage erträgt, der nicht verlieren kann. Ich versuche die Typen abzuschütteln, aber die Griffe an meinen Armen werden stärker. Meine Gedanken drehen durch. Ich will noch mehr über meine Geschichte hinaus schreien. Jeder soll es hören, dass es mein Text ist, aber trotz geöffnetem Mund bleibe ich stumm.
Ich liege auf dem Fußboden, der Moderator geht neben mir in die Hocke, legt mir beruhigend die Hand auf die Schulter.
Der Kleiderschrank im weißen Kittel kniet auf der anderen Seite, zieht eine Spritze auf, mein Hemdsärmel wird nach oben gerollt: „Das sind die Nerven. Wir geben Ihnen eine Beruhigungsspritze, gleich geht es Ihnen besser.“
[Vorerst letzte Version nach der Überarbeitung]